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Purpose finden statt erfinden

«Talking Heads» im Rahmen der Perikom Good-Practice-Reihe.

War Purpose nicht schon immer da? Muss heute jeder noch schnell die Welt retten? Wo ist Purpose im Wertekatalog einzuordnen? Wie funktioniert Purpose in der Praxis? Fragen gab es genug für den Anlass von Heads und Perikom am 25. April im Vortragssaal des Landesmuseum-Neubaus. Arbeitspsychologe Dr. Felix Frei, Dr. Barbara Wicki von Cembra Money Bank und Christoph Sieder von ABB waren um Antworten nicht verlegen und sorgten mit ihrer Sicht auf die Dinge für Überraschungen.

Arbeitspsychologe Dr. Felix Frei eröffnete in Klartext. Mit 11 Thesen kritisierte er das «Phrasendreschen der Managergilde». Aus seiner Sicht sei die Manager-Sprache auf einem vorläufigen Tiefpunkt angelangt. Die Führungskräfte seien von der Digitalisierung grandios überfordert, doch es gehöre sich für Manager nicht, Unsicherheiten zuzugeben. So suche man die Sicherheit in einem Purpose, der dann alles zum Laufen bringen solle. Und die Aufgabe der Purpose-Suche würde dann an die HR- und Kommunikationsleute delegiert. Doch diese dürften sich nicht dafür missbrauchen lassen, denn die Lösung liege in der Hand der Führung. Der Kern dieser Musik spiele in der Linie, nicht in der Ausformulierung der Kommunikationsabteilung und in der Missionarsarbeit von HR. Führung verstehe sich leider immer mehr als dürfen und nicht mehr als müssen. Alle sollen selbständig, eigenverantwortlich arbeiten, damit man als Vorgesetzter seine Ruhe habe. Und wenn es dann gerade passe, mache man Führung und betreibe Micromanagement. Führungskräfte sollen dazu angehalten werden, konstant ihre Führungsrolle wahrzunehmen und Sinn zu stiften. Ein Purpose sei durchaus wertvoll, aber nur, wenn er auf der Vergangenheit aufbaue und nicht den Anschein erwecke, er sei etwas total Neues und habe mit der Geschichte des Unternehmens nichts zu tun. Purpose sei mit einer gewissen Bescheidenheit darzustellen und nicht zu hoch zu hängen.

Dr. Barbara Wicki, Head Organizational and Personal Development bei Cembra, stellte gleich zu Beginn die rhetorische Frage: Eine Bank mit Purpose? Eher nicht, konstatierte sie. Mit Konsumkrediten, Kreditkarten und Leasinggeschäft werde man die Welt nicht retten. Und deshalb würde Cembra sich auch nicht über einen aufgesetzten Purpose eine höhere Aufgabe andichten. Doch Sinn machen müsse es natürlich schon. Der Sinn liege darin, es den Kunden so einfach wie möglich zu machen. Und damit es für die Kunden einfach werde, müsse man den Mitarbeitenden die besten Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Wer viel Gestaltungsraum erhalte, werde auch im Sinne des Unternehmens innovativ. Und würden die Mitarbeitenden hohe Wertschätzung erfahren, würde diese an die Kunden weitergegeben. Dafür habe sich Cembra seit der Ablösung von GE Money Bank im Jahr 2013 auf eine Kulturreise begeben. Diese Reise sei keineswegs eine Gerade, sondern kurvenreich und wohl nie zu Ende. Ein Etappenziel sei allerdings erreicht: 2019 wurde Cembra von «Great Place to Work» als fünftbester Schweizer Arbeitgeber ausgezeichnet. Cembra hatte diese Auszeichnung eher überrascht, denn intern sähe man noch viele Punkte, an denen man als Arbeitgeber arbeiten müsse. Dafür habe das Unternehmen diesen Frühling eine neue Initiative gestartet, um etwas ganz Grundsätzliches zu schaffen: eine starke Vertrauenskultur, die wirklichen Teamgeist erst möglich mache. Ihre Konklusion: Es geht auch ohne höheren Sinn, aber es muss viel Sinn machen und auf allen Stufen Ambitionen wecken.

Christoph Sieder, Leiter Globale Unternehmenskommunikation der ABB, startete seine Präsentation mit einem Blick auf das Jahr 2014. Damals erhielt das Management den Auftrag, die strategische Neupositionierung einzuläuten; als Technologiekonzern, der sich auf digitale Industrien fokussiert. In einer Umfrage bei Wirtschaftsinteressierten zwischen 24 und 60 in der Schweiz stellte man damals fest, dass die ABB noch sehr stark mit ihrer Vergangenheit in Verbindung gebracht wurde: 70 Prozent der Befragten waren überzeugt, dass ABB im Bereich der Energieerzeugung tätig sei und 60 Prozent sahen ABB als Hersteller von Zügen und Lokomotiven – Geschäftsfelder, die ABB schon vor Jahrzehnten abgestossen hatte. Heute ist ABB die drittwertvollste Marke der Schweiz und wertvollste Schweizer Technologiemarke. Der Wandel habe sehr viel mit Purpose zu tun. Was Sieder aber wichtig ist: Er sei kein Freund der Kommunikation von Purpose. «Dieser Seelenstriptease, der momentan stattfindet, finde ich völlig verquer und teilweise unverständlich.» Purpose sei das Innerste, was ein Unternehmen habe. Dies zu kommunizieren, sei fahrlässig. Deshalb finde man auch ABB-intern nirgendwo eine Aussage zum Purpose. Was man aber finden würde, sei Kommunikation, die sich aus diesem Markenkern heraus entwickle. Sieder ist überzeugt, dass ein passender Purpose, der den «höheren Unternehmenszweck» auf den Punkt bringt, die Identifikation der Stakeholder mit dem Unternehmen steigere. Versuche man aber, sich mit Geld in Themen einzukaufen die gesellschaftsrelevant sind, aber nichts mehr mit dem Unternehmen zu tun haben, würde man ein grosses Risiko eingehen. Wer sich als Weltretter aufspiele, wirke unglaubwürdig. Bei ABB habe man den Corporate Purpose von innen heraus entwickelt und sich dazu mit allen Stakeholder-Gruppen ausgetauscht. Wie dieser heisst, sei den Veranstaltungsteilnehmenden vorbehalten. Er führte aber zur bekannten Positionierung «Pioneering technology leader» und zum kommunizierten Markenversprechen «Let’s write the future. Together.» Um diese Positionierung weltweit zu etablieren, habe ABB nach einer passenden Plattform gesucht und diese in der «Formel E» gefunden. Diese stehe für leistungsstarke Lösungen für eine Zukunft intelligenter, zuverlässiger und emissionsfreier Mobilität und für die Anforderungen der digitalen und vernetzten Welt. Die ABB habe auf dieses «Start-up» Formel E gesetzt, weil es für Technologieführerschaft, Innovation und eine gewisse Kühnheit steht. «ABB Formel E» biete die Möglichkeit, die Marke aus ihrem Kern heraus zu emotionalisieren. Dies zahle sich aus. Das «Fortune Magazine» erstellte beispielsweise vor kurzem ein Unternehmensranking von 40 Unternehmen mit dem Potenzial, die Welt zu verändern und setzte ABB auf Platz 8 ihres Rankings. So etwas wecke den Stolz der Mitarbeitenden, schaffe Loyalität und motiviere sie, selbst neue Talente für ABB zu werben. Und im Vorjahresvergleich erhalte ABB doppelt so viele Initiativbewerbungen in der umkämpften Zielgruppe der Ingenieurstudenten. Sieders Fazit: Ein Purpose sei wertstiftend, dies aber nur, wenn er im Unternehmen ganzheitlich gelebt würde. Dafür müsse das Top-Management als Vorbild agieren und eine entsprechende Führungskultur etablieren. Und es sei wichtig, dass das Verständnis der Mitarbeitenden gesichert würde, damit sie den Purpose glaubhaft nach aussen transportieren können.

Fazit des Abends

Einen Corporate Purpose zu erfinden, macht nicht viel Sinn. Sich eine höhere Aufgabe anzudichten, ist riskant, denn wer Phrasen drischt und sich als Weltretter aufspielt, macht sich angreifbar. Vielmehr geht es darum, den wahren Kern des Unternehmens zu erkennen und das Bewusstsein dafür zu sichern. Unternehmen sollen ihren Purpose finden, dann diesen aber nicht eins zu eins nach aussen tragen. Purpose ist vielmehr als interner Kompass zu verstehen – für das Management, für die Führungs- und Unternehmenskultur und für die Mitarbeitenden.

— Heads / 30.4.2019